Mindestenssechszeichen...keine Panik!

Das Leben Anderer

26. Juli 2010 von Yhoko
Es gibt Leute, die arbeiten den ganzen Tag, kommen abends heim, trinken Bier und schauen dabei TV und am Wochenende ist entweder Grillen oder Party angesagt. Der Höhepunkt ihres Lebens liegt ein mal im Jahr auf Mallorca und alle vier Jahre im WM-Stadion. Okay. - Fühlt sich schon einer diskriminiert? Also weiter.
Es gibt Leute, die leben von der Arbeitslosenkasse und verbringen den ganzen Tag in World of Warcraft oder Counterstrike, chatten oder skypen dabei und twittern ihre neusten Erfolge bei zwölf Onlinediensten parallel. Alternativ betreiben sie ein ganzes Online-Agraargebiet mit allen möglichen Tieren, kämpfen mit riesigen Weltraumflotten um virtuelle Ländereien oder klicken sich stündlich durch zwei dutzend Facebook-Apps. - Fehlt noch jemand?
Es gibt Leute, die verbrachten den ganzen Tag mit Lernen, haben nur Bestnoten mit nach Hause gebracht, ein halbes Leben lang studiert und arbeiten den ganzen Tag als Professoren, forschen an Medizin und Technik und bringen regelmässig Wunder zustande. - Hoppla, wo soll denn das jetzt hinführen?

Was haben all diese Leute gemeinsam? Sie leben und verbringen ihre Zeit. Irgendwie. Ich könnte mich mit keinem dieser Lebensstile anfreunden, aber das ist in Ordnung, denn jeder muss seinen eigenen finden. Jeder hat also seinen eigenen Massstab eines erfüllten Lebens und so ist es nur normal, dass man diesen auch bei anderen ansetzt - wo er nicht unbedingt passt. Nehmen wir als Beispiel den schick gekleideten Geschäftsmann mit dem Aktenkoffer. Er steht den ganzen Tag unter Stress, sorgt sich um die Finanzen, reist täglich mit dem Jet von A nach B und kann sich beim besten Willen nicht um eine Familie kümmern, weswegen er lieber zwei Mal im Jahr eine Woche Urlaub in Thailand verbringt. Das wär nichts für mich. Aber kann ich deswegen sagen, sein Lebensstil sei schlechter als mein eigener?

Vielleicht ist es etwas weit gegriffen, aber in der grossen Rechnung spielt das Leben letztendlich keine Rolle. Jeder weiss, wie unbedeutend wir für das Universum sind und wie hilflos wir der Ewigkeit gegenüberstehen. Alles um uns herum zerfällt in Entropie und alles, was für uns im Leben Bestand hat, wird eines Tages verschwunden sein. Nein, nicht das Erdöl - na gut, das auch, aber das können wir vermutlich ersetzen. Vielleicht durch Sonnenenergie? Aber auch die Sonne brennt nicht ewig. Bis dahin haben wir immerhin Zeit, den interstellaren Raumflug zu meistern. Kriegen wir das nicht hin, sind wir in 900 Millionen Jahren ausgelöscht (Quelle: Wikipedia). Aber selbst wenn wir das schaffen, kommen wir nur in die nächste Liga, zum nächsten Stern in der Milchstrasse, die irgendwann auch ausgebrannt sein wird. Das Spiel geht bestenfalls so lange weiter, bis die letzten Reste Materie im Universum in Energie verpuffen und die Entropie letztendlich gewinnt. Und dann? An genau diesem Punkt möchte ich heute ansetzen.
Egal welche Anstrengungen wir auch unternehmen, egal was wir schaffen, egal wohin wir kommen. Am Ende wird nichts davon übrig bleiben. Sicher, manche Dinge bleiben länger als andere - die alten Griechen und Ägypter haben z.B. Steinhaufen erschaffen, die heute noch mehr oder weniger stehen und uns in Staunen versetzen, und heute gibt es Wissenschaftler, die Sterne bewegen und so ein Zeichen für kommende (und ausserirdische) Zivilisationen hinterlassen wollen. Das hätte wahrlich lange Bestand, länger als wir alle, als die Erde selbst, aber eben auch nicht ewig. In Abetracht dessen kann ich durchaus verstehen, dass viele Menschen einen höheren Sinn für ihr Leben suchen und sich in die heile Welt der Religionen flüchten, die schamlos genug sind, die Ewigkeit nicht nur zu berühren sondern gar mit ihr zu werben. Das wirklich Tragische an der Sache ist jedoch, dass diese Menschen zu Eltern werden, die ihre Kinder mit diesem Glauben erziehen und die Erziehung kann nicht nur einen Menschen sondern ganze Zivilisationen nachhaltig beeinflussen. Ob das nun nobel und gütig ist, seinem Nachwuchs einen Lebenssinn vorzugaukeln, kann ich auf Wunsch ein andermal besprechen, bleiben wir aber diesmal bei unseren eigenen Gärten und kommen zu den eingangs erwähnten Lebensstilen zurück. Diesmal aber mit einem anderen Ansatz:

Das Leben ist kurz, ziemlich kurz im Vergleich zu allem anderen, was im Universum existiert. Bestenfalls haben wir etwas über 100 Jahre, schlimmstenfalls zu wenig, um überhaupt ein Bewusstsein zu entwickeln - es ist wie eine grosse, kosmische Lotterie, in der jeder sein Schicksal zieht und dann damit alleine gelassen wird. Was also tut man am besten mit einer kurzen Zeitspanne, die man frei gestalten kann? Na gut, nicht ganz frei, denn auch hier muss ich wieder ausklammern, dass der familiäre, gesellschaftliche, politische oder gar militärische Druck manche Leute in ein bestimmtes Leben zwingt oder zumindest ihre Möglichkeiten einschränkt. Unabängig davon, also auch bei absoluten Freigeistern, kann die Frage aber nicht beantwortet werden. Für viele ist es das Ziel, eine Familie zu gründen und ihr Erbgut und ihre Lebenserfahrung dadurch weiterzugeben, andere leben lieber für sich selbst oder für den Fortschritt, wieder andere wollen einfach nur Spass haben oder ihre Botschaft verbreiten.
Was nun wirklich „besser“ ist, lässt sich wie immer nur an einzelnen Massstäben messen. Somit muss die Frage anders gestellt werden und zwar von jedem einzelnen. Jeder muss sich selbst fragen, wofür er leben, also welchen Massstab er bei sich ansetzen will. Lebt er für die Gesellschaft, für die Wissenschaft, für ein bestimmtes Ziel oder einfach nur, um das Leben zu geniessen? Auf jeden Fall aber ist es anmassend, andere Menschen nach diesem Massstab zu bewerten. Höchstens sein eigenes Leben kann man rückblickend beurteilen und für sich selbst herausfinden, ob man wirklich so gelebt hat, wie man es eigentlich wollte. Eines daf man dabei aber niemals vergessen:

Im grossen Spiegel des Universums sind unsere Lichter alle gleich unbedeutend.


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